Intensivierte Insulintherapie bzw. Basis-Bolus-Therapie
Ich beschreibe hier weder die primär für Typ 2 Diabetiker vorgesehenen Therapiformen wie Basalinsulin-unterstützte orale Therapie (BOT, BOT plus), Basalinsulin-unterstützte Inkretin Therapie (BIT) und Supplementäre Insulintherapie (SIT), noch die Insulinpumpentherapie (Kontinuierliche subkutane Insulininfusion CSII), sondern beschränke mich auf die hauptsächlich bei Typ 1 Diabetikern eingesetzte intensivierte Insulintherapie (Basis-Bolus-Therapie mittels Insulin-Pen), welche ich praktiziere.
Die intensivierte Insulintherapie orientiert sich an den natürlichen Stoffwechselvorgängen und ist bedarfsorientiert. Die Insulinmenge wird jeweils kurzfristig an den aktuellen Blutzuckerspiegel, die Nahrungsmenge und körperliche Aktivitäten angepasst. Voraussetzung dafür sind regelmäßige Blutzuckermessungen, am besten eine kontinuierliche Glukosemessung mittels Sensor (CGM).
Ein langwirksames Insulin (Basalinsulin) deckt dabei den Insulingrundbedarf ab, der auch ohne Kohlehydrataufnahme vorhanden ist. Bei den aktuellen Basalinsulinen reicht eine Injektion pro Tag aus, bei etwas älteren sind eventuell noch zwei Injektionen nötig.
Vor jeder Mahlzeit wird für den Insulinbedarf, der durch die aufgenommenen Kohlehydrate entsteht, ein kurzwirksames Bolus-Insulin eingesetzt. Dies geschieht auch zur Korrektur erhöhter Glukosewerte. Dabei ist es wichtig, den BE-Faktor und den Korrekturfaktor festzulegen (siehe unten). Diese sind individuell und auch je nach Tageszeit unterschiedlich.
Bei der Basis-Bolus-Therapie wird teilweise noch unterschieden zwischen der intensivierten konventionellen Therapie (ICT) und der funktionellen Insulintherapie (FIT):
- Bei der intensivierten konventionellen Therapie (ICT) verabreicht sich die Person neben dem Basalinsulin vor jeder Mahlzeit eine feste Menge Bolusinsulin. Die Kohlenhydratmenge der einzelnen Mahlzeit wird nicht speziell ermittelt, sondern nach festem Schema beibehalten.
- Bei der funktionellen Insulintherapie (FIT) wird dagegen neben dem Basalinsulin vor jeder Mahlzeit selbstständig berechnet, wie viel Bolusinsulin je nach genauer Menge an Kohlenhydraten notwendig ist.
Ich halte diese weitere Unterscheidung für Haarspalterei: Wer seinen BE-Faktor kennt, der kann sich auch auf unterschiedliche Mengen aufgenammener Kohlehydrate bei den Mahlzeiten einstellen. Nach dieser Definition würde ich, wenn ich meinen regelmäßigen Tagesablauf zu Hause habe, ICT praktizieren, wenn ich zu Hause etwas Außergewöhnliches esse oder unterwegs bin jedoch FIT.
Basalbedarf
Der Basalbedarf legt fest, wieviel Basalinsulin ich pro Tag spritzen muss, um meinen Glukosewert ohne Essensaufnahme auf einem stabilen Niveau zu halten. Aktuell spritze ich 18 Einheiten Basalinsulin (Toujeo) pro Tag. Mein Bedarf sank in den letzten Jahren von 24 über 22 auf 18 Einheiten, während einer Krankheitsphase waren es zwischenzeitlich auch einmal wieder 24 Einheiten. Dabei gibt es einen Zusammenhang zwischen Bewegung, Körpergewicht und Basalbedarf: Über die letzten Jahre habe ich es geschafft, mich regelmäßiger zu bewegen (aktuell an 5 bis 7 Tagen pro Woche für 20 bis 30 Minuten pro Aktivität). Dabei habe ich auch langsam aber kontinuierlich ca. 5 kg abgenommen. Parallel dazu sank mein Bedarf an Basalinsulin.
Hinweis für erfahrene Diabetiker: Ich nehme meinen Blutzuckerverlauf in der Nacht als Orientierung für den Basalbedarf. Ist der Glukosespiegel gleichbleibend, dann stimmt der festgelegte Basalbedarf. Sinkt der BZ-Spiegel nachts deutlich, dann liegt die Vermutung nahe, dass ich zu viel Basalinsulin gespritzt habe. Steigt der BZ-Spiegel nachts deutlich an, so muss man sich zuerst überlegen, ob man am Abend etwas gegessen hat, was erst langsam resorbiert wird (viel Fett und/oder Eiweiß), ansonsten kann man die Basalrate etwas erhöhen und sehen, was dann passiert. Ansonsten kann man auch durch Auslassen von Mahlzeiten tagsüber feststellen, ob die Dosierung des Basalinsulins stimmt.
BE-Faktor für Bolusgaben
Der BE-Faktor gibt an, wie viele Einheiten schnell wirkendes Insulin ich pro BE (Broteinheit, 12 Gramm Kohlehydrate) spritzen muss. Er ist je nach Tageszeit unterschiedlich hoch. So wird in den Leitlinien festgestellt: "Die Dosierung des prandialen Insulins erfolgt entsprechend der circadianen Insulinempfindlichkeit, die zumeist morgens am niedrigsten, mittags am höchsten ist und abends zwischen den beiden Genannten liegt". Die Betonung liegt hier auf dem Wort "zumeist", das heißt, es sind individuelle Abweichungen möglich. Bei mir ist der Insulinbedarf (schnellwirksame Bolus-Insulin) mittags am niedrigsten und abends am höchsten. Ich spritze aktuell morgens 2 Einheiten pro BE, mittags 1,5 Einheiten und abends 2,5 Einheiten. Diese Werte sind individuell verschieden, das heißt, jeder muss seine eigenen Werte ermitteln. Außerdem wird die Dosierung durch Änderung der Lebensgewohnheiten (z.B. im Winter weniger Bewegung) oder durch Krankheit beeinflusst und muss dann entsprechend angepasst werden.
Korrekturfaktor
Der Korrekturfaktor gibt an, um wie viele mg/dl eine Einheit schnell wirkendes Insulin den Glukosewert senkt, wenn dieser zu hoch ist. Das ist für Korrekturen hoher und sehr hoher Glukosewerte wichtig. Man kann den Korrekturfaktor nach folgender Formel berechnen: 1.500 dividiert durch den Gesamtbedarf (Einheiten) des täglich gespritzten Insulins (Summe Basal- plus schnellwirksames Insulin). Bei mir senkt eine Einheit schnell wirkendes Insulin den Glukosewert um ca. 30 mg/dl (1.500 : 50 Einheiten/Tag = 30). Früher habe ich bei der Korrektur von sehr hohen BZ-Werten (>250 mg/dl) noch etwas mehr schnell wirkendes Insulin benötigt. Seit über einem Jahr hatte ich aber keinen einzigen Wert über 250 mg/dl mehr. Für die Senkung (sehr) hoher Glukosewerte ist es außerdem hilfreich, wenn man sich nach der Korrekturspritze etwas bewegt. Ein kleiner Spaziergang reicht, um die Wirkung des Insulins zu verbessern.
Spritz-/Essabstand (SEA)
Der Spritz-/Essabstand gibt an, wieviel Minuten ich
das schnellwirkende Insulin vor Einnahme der Mahlzeit spritzen muss, damit ich
eine möglichst flache BZ-Kurve erhalte. Wie bei Corona gilt hier: "Flatten the
curve". Dabei ist die Wirkkurve des verwendeten schnellwirksamen
Insulins von entscheidender Bedeutung. Im Internet kann man die Wirkprofile der
einzelnen Insuline finden. Es gilt: Je schneller das Insulin wirkt, desto
kürzer ist der SEA.
Bei mir spielt zusätzlich die Tageszeit eine
Rolle: Morgens ist der SEA am längsten, abends am kürzesten.
Da das Lyumjev bei mir extrem schnell wirkt, verwende ich morgens einen SEA
von 5 bis 10 Minuten, mittags von 0 Minuten und abends spritze ich mich, wenn
sich mein BZ-Wert vor dem Essen um oder unter 100 mg/dl befindet, erst während
des Essens, da ich sonst einen zu starken Blutzuckerabfall habe und
in eine Hypoglykämie rutsche.
Fazit
Bei der alten konventionellen Therapie (CT) spritzte ich zwei
Mal am Tag ein Kombinations-Insulin (Mischung aus lang und kurz wirkendem
Insulin) und die Wirkkurve des Insulins beherrschte mein Leben. Ich musste zu
bestimmten Zeiten, nämlich dann, wenn das Insulin stark wirkte, Kohlehydrate zu
mir nehmen (die Hauptmahlzeiten einnehmen) und durfte bei nachlassender Wirkung des Insulins nicht mehr nach
Belieben essen.
Bei einer gut eingestellten Basis-Bolus-Therapie
(insbesondere bei FIT) beherrsche ich das Insulin: Ich kann auch einmal einen ganzen Tag
lang fasten oder zwischendurch, wenn ich Lust auf Essen habe, mehr als sonst
essen und kann dies dann mit einer entsprechenden Bolusgabe abdecken. Diese
Therapieform eröffnet mir somit die
Möglichkeit einer total freien Tagesplanung. Welch ein Fortschritt!