Typ 1 Diabetiker  ≈  mein süßes Leben

Resümee und Empfehlungen

Das Leben mit der Diagnose Diabetes ist aus meiner Erfahrung ein lebenslanger Lernprozess. Rückblickend betrachtet ist das Leben als Diabetiker zwar auch heute noch nicht leicht, aber trotzdem wesentlich einfacher zu bewältigen als früher, da es erhebliche Fortschritte in den technischen Hilfsmitteln, den Kontrollmöglichkeiten und der Funktionsweise der Insuline gab und weiterhin gibt (siehe: meine Krankengeschichte). Der Einsatz von KI (künstliche Intelligenz) lässt Hoffnung aufkommen, dass bald die Diabetestherapie automatisiert ablaufen wird (siehe: AID). Trotzdem will ich hier noch einmal einige Punkte aufgreifen, die ich aufgrund meiner langjährigen Erfahrung im Umgang mit Diabetes für wichtig erachte.

Wichtige objektive Kennwerte

Die zwei wichtigsten Kennwerte für einen gut eingestellten Diabetes sind der HbA1c-Wert, welcher die Blutzuckereinstellung der letzten drei Monate mit Schwerpunkt auf die letzten 6 - 8 Wochen repräsentiert und die Zeit im Zielbereich (TIR, Time in range), welche nur bei Verwendung eines Sensors (CGM, kontinuierliche GZ-Messung) einfach zu ermitteln ist. Deshalb empfehle ich jedem Typ 1 Diabetiker, sich einen Sensor verschreiben zu lassen, falls er bisher noch keinen hat.

HbA1c-Wert

Der HbA1c-Wert liegt bei gesunden Personen zwischen 4,5 und 5,7 %. Bei Typ 1 Diabetikern soll er nach den offiziellen Empfehlungen der DGG (Deutsche Diabetes Gesellschaft) unter 7,5 % liegen, dafür gibt es entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen, die das belegen. Die American Diabetes Assoziation empfiehlt einen Wert von unter 7 %. Ein Wert unter 6,5 % bringt laut DGG zwar eine weitere (geringfügige) Verbesserung der Stoffwechsellage, die wissenschaftlichen Studien zeigen bisher jedoch keine signifikanten Unterschiede (Signifikanz: Die Unterschiede sind mit 95 %iger Wahrscheinlichkeit auf den niedrigeren HbA1c-Wert und nicht auf Zufall zurückzuführen). Ich persönlich bin als Rentner in der glücklichen Lage, ein geregeltes Leben zu führen und mir Zeit für meine Therapieeinstellungen zu nehmen. Diabetiker*innen in anderen Lebenslagen (z.B. Handelsvertreter) sind da ganz anderen Herausforderungen ausgesetzt und sollten sich nicht an meinen Werten orientieren und sich somit nicht zu hohe Ziele setzen (siehe auch unten: Wichtige psychologische Aspekte der Zielerreichung).

Zeit im Zielbereich (TIR, Time in Range)

Der Zielbereich ist in der Regel als der BZ-/GZ-Bereich zwischen 70 und 180 mg/dl definiert. Ziel ist es, mindestens 70% seiner Messwerte in diesem Bereich zu haben. Es gibt Aussagen, dass jede weitere Erhöhung um 5% Vorteile bringt. Wie anderweitig schon beschrieben (siehe TIR), bemühe ich mich hier deutlich höhere Werte zu erreichen und insbesondere sehr hohe BZ-Werte (über 250 mg/ml) zu vermeiden. Dies ist durchaus zu realisieren, wenn man den Hoch-Alarm seines CGMs auf 180 mg/dl stellt und bei Überschreitung sofort ein schnellwirksames Insulin spritzt. Wenn beim BZ-/GZ-Wert eine deutliche stabile Steigungsrate vorhanden ist, also eine weitere Steigung sehr wahrscheinlich ist, dann berechne ich die Menge des zu spritzenden Korrekturinsulins als hätte ich schon einen Wert von 220 mg/dl erreicht. Bei mir bedeutet das bei einem Korrekturfaktor von einer Einheit pro 30 mg/dl die Injektion von 4 Einheiten Insulin (schnellwirkend).

Wechselwirkung HbA1c - TIR

Für die Beurteilung einer guten Stoffwechseleinstellung müssen beide Werte (HbA1c und TIR) gemeinsam betrachtet werden, da beim HbA1c-Wert auch Unterzuckerungen mit einfließen und diesen senken. Es gibt durchaus Diabetiker*innen, die das gemerkt haben und versuchen, mit gezielten Unterzuckerungen kurz vor dem Labortest den HbA1c-Wert zu "tunen" (senken). Mit einem Sensor (CGM) ist dies ganz gut realisierbar. Die Diabetolog*innen wissen das in der Regel aber auch und können am Prozentsatz niedriger und sehr niedriger Werte vor der Untersuchung erkennen, ob da jemand eine bessere Stoffwechsellage vortäuschen will.

Durchschnittlicher Glukosewert und Standardabweichung des Glukosewertes, GMI

Seit 2024 beachte ich auch den Durchschnitt und die Standardabweichung (Schwankungsbreite) der vom CGM gemessenen Glukosewerte. Diese Werte werden z.B. in der Clarity-App (Dexcom) angezeigt. Ich bemühe mich über den Zeitraum von 90 Tagen einen durchschnittlichen Glukosewert von 120 mg/dl zu erreichen und dabei die Standardabweichung möglichst klein zu halten (Ziel: 30 mg/dl). Diese Ziele erreiche ich nicht immer, aber ich bin meistens nahe daran. Aus den gemessenen Glukosewerten berechnet die App den GMI (Glukose Management-Index), der ähnlich wie der HbA1c-Wert die Glukoseentwicklung über einen längeren Zeitraum wiedergibt, mit diesem jedoch nicht genau übereinstimmt. Bei mir liegt der GMI meist 0,1 bis 0,2 über dem gemessenen HbA1c-Wert.

Es gibt noch weitere wichtige Kenn- und Laborwerte für Diabetiker (Blutdruck, Gesamt-/HDL-/LDL-Cholesterin, Triglyzeride, Mikro-/Makroalbuminurie, Kreatinin). Diese sind aber oftmals nicht durch Verhaltensänderungen des Diabetikers zu beeinflussen, sondern bei Bedarf medikamentös zu behandeln.

Wichtige psychologische Aspekte der Zielerreichung

Wenn Sie die oben genannten Werte nicht erreichen, dann sollten Sie nicht verzweifeln oder sich zu hohe Ziele setzen, sondern versuchen, sich in kleinen Schritten diesen Werten anzunähern.

Wenn Sie z.B. aktuell einen HbA1c-Wert von 9,1 haben, dann sollten Sie sich nicht das Ziel setzen, bei der nächsten Untersuchung unter 7,5 zu kommen, sondern sich vornehmen, bei der nächsten Laborkontrolle einen ersten Schritt auf dem Weg dahin zu tun, also z.B. einen Wert von unter 9 zu erreichen. Das ist realistisch und motiviert Sie deutlich mehr, wenn Sie diesen Wert dann auch wirklich erreichen oder sogar unterbieten als wenn Sie sich 7,5 vornehmen und dann bei 8,8 landen. Man muss sich die Ziele so setzen, dass man Erfolgserlebnisse hat. Ein Beispiel von mir: Ich habe fast nie das Ziel von 10.000 Schritten pro Tag erreicht und war deshalb frustriert, hatte aber auch keinen Anreiz abends noch 5.000 Schritte zu gehen, wenn ich bis dahin erst 5.000 Schritte erreicht hatte. Also habe ich mein Ziel auf 7.000 Schritte verringert. Dieses Ziel erreiche ich auch nicht automatisch, sondern muss meist gegen Abend noch "nachbessern". Ich bin dann aber nicht mehr so weit von diesem Ziel entfernt (bei 5.000 Schritten nur noch 2.000 Schritte) und raffe mich deshalb auf, um es noch zu erreichen. Also bringt mir die Senkung des Ziels in einen realistischen Bereich mehr Bewegung (plus 2.000 Schritte) und ein zusätzliches Erfolgserlebnis.

Wichtige Änderungen der Lebensgewohnheiten

Wie an anderer Stelle schon beschrieben, sollten Sie sich auf ein lebenslanges Lernen im Umgang mit dem Diabetes einstellen. Dazu gehören genügend Bewegung (körperliche Aktivität), Vermeidung von Übergewicht, Wissen um die Inhaltsstoffe der aufgenommenen Nahrung und kontinuierliche Beobachtung, wie bestimmte Lebensmittel den Blutzuckerspiegel beeinflussen. Aufbauend auf diesen Beobachtungen sollten Sie lernen, die Dosierung des Insulins auf die Nahrungsaufnahme selbstständig anzupassen und fortlaufend zu optimieren.
Gegen gelegentlichen Alkoholkonsum ist sicherlich nichts einzuwenden, aber es sollte nicht exzessiv getrunken werden. Was ich bisher noch nicht erwähnt habe, ist das Rauchen, da es bei mir seit Mitte der 1970er Jahre keine Rolle mehr spielt. Ich habe damals als ich insulinpflichtig wurde gemerkt, dass ich bei stärkerer körperlicher Anstrengung (Joggen in hügeliger Landschaft) schon Atemnot bekam. Das war ein Grund, das Rauchen aufzugeben. Es fiel mir damals nicht leicht, aber ich habe es geschafft. Heute weiß ich, dass Nikotin zusätzlich die Insulinsensitivität senkt also tendenziell zu einer Insulinresistenz führen kann.

Meine persönlichen "game changer" bei der Diabetestherapie

1. intensivierte konventionelle Therapie (ICT) bzw. funktionelle Insulintherapie (FIT)

Die wichtigste Neuerung in meiner Diabetestherapie war wahrscheinlich die schon Jahrzehnte zurückliegende Umstellung von konventioneller Therapie (CT) auf intensivierte konventionelle Therapie (ICT) bzw. funktionelle
Insulintherapie (FIT). Danach musste ich meine Essenszeiten und die Essensmenge nicht mehr nach dem gespritzten Insulin organisieren, sondern ich konnte essen wann und wieviel ich wollte und spritzte dazu den entsprechenden Bolus schnellwirkendes Insulin.

2. Kontinuierliche Glukosemessung mittels eines Sensors

Direkt nach der Umstellung auf ICT folgt die Verwendung eines Sensors (CGM) zur kontinuierlichen Glukosemessung. Seit der Verwendung des Dexcom G6 verbesserte sich mein HbA1c-Wert um etwas mehr als einen Punkt, was eine enorme Veränderung darstellt. Nach dem Umstieg vom Dexcom G6 auf den G7 wurde mein HbA1c-Wert sogar noch einmal geringfügig besser. Ich führe das auf die verbesserten Warnmöglichkeiten des G7 (Schlummerfunktion, zivilere Töne) zurück, die mich veranlasst haben, den Hoch-Alarm auch effektiv zu nutzen. Dadurch hatte ich, seitdem ich meinen Hoch-Alarm auf dem G7 auf 180 mg/dl gesenkt habe und danach sofort mit dem extrem schnell wirkenden Lyumjev eine Korrekturdosis spritze, keinen einzigen sehr hohen Gewebezuckerwert (> 250mg/dl) mehr (Stand 31.12.2023). Wenn Sie noch keinen Sensor verwenden, dann überlegen Sie einmal, ob Sie vor jeder Autofahrt Ihren BZ-Wert messen. Ich habe das früher bei Kurzstrecken nicht gemacht (zum Einkaufen, zum Arzt, etc.). Heute schaue ich schnell auf die App und bei Werten unter 100 mg/dl oder bei stark fallenden Werten nehme ich zuerst Kohlehydrate zu mir. Das bringt mir deutlich mehr Sicherheit.

3. Neue analoge Insuline

Ein weiterer game changer sind die neuen analogen Insuline. Bei den langwirksamen Insulinen decken sowohl das von mir verwendete Toujeo als auch Tresiba, wie ich von anderen Diabetiker*innen gehört habe, nun endlich einen ganzen Tag (24+ Stunden) ab. Noch wichtiger war mir jedoch der Umstieg bei den kurzwirksamen Insulinen von Humalog auf Lyumjev. Es wirkt bei mir so schnell, dass ich kaum noch einen Spritz-/Essabstand benötige. Somit kann ich postprandiale Hochs (Glukoseanstieg nach dem Essen) vermeiden und bei hohen Glukosewerten wirken die verabreichten Korrekturen zudem schneller.

Arzt-Patient-Verhältnis

Wie im richtigen Leben ist die "Chemie" zwischen Arzt und Patient sehr wichtig (person-to-person-fit). Wenn man sich gegenseitig sympathisch oder zumindest okay findet, dann ist das schon der erste Schritt zu einem guten Arzt-Patient-Verhältnis.

Da der Typ 1 Diabetes ja meist schon im Kindes- oder Jugendalter beginnt und bis zum Lebensende zu behandeln ist, bin ich der Auffassung, dass sich alle Diabetiker*innen über die Krankheit und die Therapiemöglichkeiten ausführlich informieren und sich so viel Wissen aneignen sollten, dass sie den Diabetes weitgehend selbstständig managen können. Ein erster Schritt dahin ist die Teilnahme an einer Diabetikerschulung. Weitergehend sind dann Recherchen zu bestimmten Themen im Internet. Auch auf Youtube sind sehr kompetente Videos zu sehen, ich verfolge den englischsprachigen Kanal "Type One Talks", der von einem Diabetiker mit 35-jähriger Krankengeschichte betrieben wird.
Selbst Therapieentscheidungen bzw. -anpassungen zu treffen, wird realistischer Weise einigen gut anderen weniger gut gelingen. Deshalb ist es wichtig, einen Arzt als Ansprechpartner zu haben, der sich Zeit nimmt und zuhört, die Therapiewünsche des Patienten berücksichtigt und Behandlungsalternativen aufzeigt. Abträglich ist es, wenn dem Patienten das Gefühl vermittelt wird, der Arzt habe keine Zeit oder er will mir mit fadenscheinigen Argumenten ein neues Insulin aufschwatzen, welches ich gar nicht haben will (offensichtlich war gerade mal wieder ein Pharmavertreter der Firma XYZ da). Prinzipiell besteht zwar die Möglichkeit den Diabetologen zu wechseln, aber gerade auf dem Lande sind nicht sehr viele entsprechende Fachärzte vorhanden und bei den beliebten hat man meist eine lange Wartezeit, bis man den ersten Termin bekommt.

Andererseits beneide ich die Ärzteschaft nicht, wenn Patient*innen mit einer totalen Konsumhaltung in die Praxis kommen, bei Problemen meinen, der Arzt hätte Ihnen nicht das richtige Medikament bzw. Hilfsmittel verschrieben, und die eigenen Verhaltensweisen nicht als Ursache für Therapieprobleme in Erwägung ziehen.

Ziel sollte deshalb ein zielorientiertes, partnerschaftlicher Verhältnis zwischen zwei Erwachsenen sein und kein Eltern (Arzt) - Kindverhältnis (Patient), wie das in der Transaktionsanalyse bezeichnet werden würde.

Ich finde häufige Arztbesuche auch nicht erstrebenswert, aber man sollte jedes Quartal den sogenannten Quartals-Check beim Diabetologen machen.

Sekundärer Krankheitsgewinn

Vergessen Sie als sekundären Krankheitsgewinn auch nicht Ihr Anrecht auf einen Schwerbehindertenausweis mit Vorteilen wie Steuerfreibetrag, mehr Urlaub, frühere Rente ohne Abschlag und zusätzlicher Schutz bei Kündigungen [Link].
Regelmäßige Quartalschecks beim Diabetologen haben den Nebeneffekt, dass so eventuell auch andere sich entwickelnde Krankheiten frühzeitiger erkannt werden als bei einem Nicht-Diabetiker.

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